Der Mensch und die Welt in der Megamaschine
Herr Scheidler, was war der Anlass, um „Das Ende der Megamaschine“ zu schreiben?
Der Ausgangspunkt sind die großen ökologischen und sozialen Krisen, in denen wir uns global befinden. Wir haben bereits das schnellste Artensterben in der Geschichte des Planeten in Gang gesetzt. Wir verlieren ein Prozent unserer fruchtbaren Böden pro Jahr, vor allem durch die industrielle Landwirtschaft. Und zu all dem kommt noch der Klimawandel hinzu, der das Überleben von Hunderten Millionen von Menschen bedroht. Zugleich besitzen acht Menschen heute so viel wie die ärmere Hälfte der Weltbevölkerung. Und diese ärmere Hälfte muss nun auch die Folgen des ökologischen Raubbaus ausbaden. Dieses System ist zynisch und menschenverachtend. Im Buch wollte ich die historischen Wurzeln dafür erkunden, wie ein so destruktives System entstehen konnte und warum so viele Menschen es für normal oder natürlich halten.
Was ist die Megamaschine?
„Megamaschine“ ist eine Metapher für ein Gesellschaftssystem, das vor etwa 500 Jahren in Europa entstanden ist und sich seither mit sehr viel Gewalt um den ganzen Planeten ausgebreitet hat. Sein Kern ist das Prinzip der endlosen Geldvermehrung. Aktiengesellschaften etwa sind ökonomische Maschinen, deren einziger Zweck es ist, aus dem Geld der Shareholder mehr Geld zu machen, egal mit welchen Mitteln. Diese unersättliche Akkumulation ist auch der Grund dafür, dass das System immer weiter expandieren und wachsen muss, um zu bestehen. Innehalten und Mäßigung sind in seiner Logik gleichbedeutend mit Krise und Zerfall. Und das beschert uns einen Großteil der Krisen, die heute unsere Existenz bedrohen.
Maturaklasse der HBLA Ursprung diskutiert die Megamaschine. Die HBLA Ursprung ist eine Bundeslehranstalt für Landwirtschaft, Umwelt und Ressourcenmanagement in der Gemeinde Elixhausen in Salzburg. Foto: HBLA Ursprung
Warum bezeichnen Sie unsere Zivilisation als gescheitert? Wiegen die positiven Errungenschaften die negativen nicht auf?
Jedes denkbare Gesellschaftssystem kann nur ein Subsystem des größeren lebendigen Zusammenhangs der Erde, der Biosphäre sein. Ein System, das diese Zusammenhänge so schnell und so rücksichtlos zerstört wie das unsere, hat keine Zukunft. Natürlich gibt es auch positive Errungenschaften der letzten 500 Jahre. Aber viele von ihnen wurden in langen sozialen Auseinandersetzungen gegen die Logik der Megamaschine erkämpft, etwa unsere demokratischen Rechte. Es geht darum, aus der destruktiven Logik auszusteigen und dabei die positiven Errungenschaften mitzunehmen und zu erweitern.
Sie sprechen von den „Mythen der Moderne“ und davon, dass jede Gesellschaft ihren Mythos pflegt, der ihre spezifische Ordnung begründet und rechtfertigt. Muss man immer global denken, oder kann man mit gutem Gewissen im eigenen lokalen Kosmos leben und glücklich werden?
Die Mythen der Moderne erzählen davon, dass der Westen Träger einer weltgeschichtlichen Heilsmission sei: Wir haben, so die Erzählung, die beste, die einzig wahre Religion, wir haben die überlegene Vernunft und Wissenschaft, wir haben die Demokratie erfunden, während die anderen die Heiden, die Barbaren, die Unterentwickelten sind. Diese Mythologie dient dazu, die physische und strukturelle Gewalt, mit der sich westliche Staaten und Unternehmen seit 500 Jahren die Ressourcen der Welt aneignen, zu rechtfertigen und das Ganze als ein großes „Zivilisierungsprojekt“ darzustellen. Ich muss gestehen, dass ich die Rede von den „westlichen Werten“, die fast alle unsere Politiker ständig im Munde führen, kaum noch ertragen kann, weil sie die ganze Gewalt, die vom Westen ausgeht, verdrängt, einschließlich der Kolonialgeschichte und der 30.000 Menschen, die in den letzten fünfzehn Jahren an den Grenzen der Festung Europa gestorben sind. Man kann sicher im eigenen lokalen Kosmos glücklich werden. Aber der Kaffee, den ich trinke, der Computer, mit dem ich einen Text schreibe, und der Brennstoff, der meine Heizung betreibt, werden von Menschen aus anderen Teilen der Welt hergestellt. Ich bin also auch in meiner Stube mit der ganzen Welt verbunden. Die Mythen der Moderne zu überwinden bedeutet, auch die Geschichten der Menschen und ihrer Vorfahren zu erzählen, die sonst unsichtbar bleiben.
Sie schreiben vom „Tod der Welt“. Erkennen Sie auch eine „Auferstehung“?
Mit dem „Tod der Welt“ meine ich die technokratische Vorstellung, dass sich unsere Wirklichkeit, unser seelisches und geistiges Leben und überhaupt alles Leben, auf mechanische Gesetze zurückführen ließe. Dass wir im Grunde nur biologische Maschinen seien. Dieser Ansatz ist in den Wissenschaften längst gescheitert, aber ideologisch noch sehr mächtig. Und einige technologische Entwicklungen, etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz, versuchen den Menschen tatsächlich auf ein Maschinenteil, ein Anhängsel von Googlebrillen und dergleichen, zu reduzieren. Das ist dann wirklich der Tod der Welt. Die „Auferstehung“, wenn man dies so nennen will, besteht darin, zu der Einheit von körperlichem, geistigem und seelischem Erleben zurückzufinden und sich gegen die Versklavung durch die Maschinenwelt zu wehren.
Welches Streben bestimmt die Welt? Welchem Streben folgen wir?
Uns wird immer wieder eingeredet, besonders von Ökonomen, die Hauptantriebsfeder des Menschen sei es, seinen eigenen wirtschaftlichen Nutzen gegenüber anderen zu maximieren. Aber das widerspricht der Erfahrung und auch allen Befunden der Sozialwissenschaften. Menschen sind soziale Wesen, sie erleben es als Freude, miteinander zu kooperieren, sie suchen nach Schönheit und Sinnerfüllung. Natürlich schauen sie auch auf den eigenen Vorteil, aber das ist bei weitem nicht die einzige Motivation.
Wie kann man heute „gut“ leben?
Die indigenen Quechua und Aymara im heutigen Bolivien haben ein Konzept des „guten Lebens“. Es beruht auf materieller, sozialer und spiritueller Zufriedenheit, die nicht auf Kosten anderer Menschen und der natürlichen Lebensgrundlagen geht. Dieses Prinzip ist inzwischen sogar in den Verfassungen von Ecuador und Bolivien verankert. Auf westliche Gesellschaften übertragen kann es bedeuten, mit weniger Gütern besser zu leben. Wenn wir weniger produzieren und den Wohlstand gerechter verteilen, dann schonen wir den Umweltraum und haben zugleich mehr Zeit für Freunde und Familie, für Kultur, politisches Engagement und Besinnung. Doch um aus dem Hamsterrad, in dem heute viele gefangen sind, auszusteigen, gilt es, die Fundamente unserer Wirtschaft zu verändern. Wir brauchen eine Ökonomie, die dem Gemeinwohl und nicht der endlosen Geldvermehrung dient.
[msc]
Foto Teaser: Fabian Scheidler, geboren 1968, studierte Geschichte und Philosophie in Berlin und Theaterregie in Frankfurt/M. Seit 2001 freischaffender Autor für Printmedien, Fernsehen, Theater und Oper. 2009 gründete er mit David Goeßmann das unabhängige Fernsehmagazin Kontext TV, das regelmäßig Sendungen zu Fragen globaler Gerechtigkeit produziert. 2015 erschien Fabian Scheidlers Buch „Das Ende der Megamaschine. Geschichte einer scheiternden Zivilisation“. Die Robert-Jungk-Bibliothek für Zukunftsfragen wählte es zu den „TOP 10 der Zukunftsliteratur 2015“. www.megamaschine.org