Die Stimme gegen soziale Ungerechtigkeit erheben
„Die sozialen Werke und Einrichtungen der Ordensgemeinschaften sind wie Seismographen, die die sozialen Entwicklungen wahrnehmen“, weiß Abtpräses Christian Haidinger, Vorsitzender der Superiorenkonferenz der männlichen Orden Österreichs, in seiner Rede zu berichten. „In unserer Arbeit mit Menschen an den Rändern und mit Menschen in unterschiedlichen Lebenslagen spüren wir unmittelbar, wo die Not größer wird.“ Und die Not sei gegenwärtig sehr groß; Haidinger kann auch zahlreiche Beispiele wie das Vinzistüberl für Obachlose der Barmherzigen Schwestern in Linz nennen, das vor allem gegen Monatsende von Hilfesuchenden besucht wird, die auf den ersten Blick gar nicht dorthin gehören. Doch: „Die stille Not treibt sie dorthin“, so Haidinger. „Und es werden immer mehr.“
Christian Haidinger: Orden können nur Ergänzung, kein Ersatz zum Sozialstaat sein
Die Ordensgemeinschaften sind seit jeher Orte der Spiritualität und des sozialen Engagements. In dieser langen Tradition führen Ordensleute heute Krankenhäuser und Pflegeeinrichtungen, kümmern sich um Obdachlose, geben Flüchtlingen Unterkunft oder bieten Frauen, die Opfer von Menschenhandel geworden sind, Schutz und Beratung. Doch Ordensgemeinschaften können nur Ergänzung, kein Ersatz für den Sozialstaat sein. Experten schätzen, dass ohne Sozialstaat über 40 Prozent der Menschen in Österreich armutsgefährdet wären.
Ihn mache es betroffen, wenn „Politikerinnen und Politiker über Menschen wie über Zahlen sprechen“, so Abtpräses Haidinger, und „in welche Verzweiflung, in welche Unsicherheit, in welche Not sie damit Menschen stürzen, indem man ihnen das Lebensnotwendige vorenthält“. Dass eine Sparmaßnahme an den Schwächsten, die "Mindestsicherung light", wie eine wünschenswerte Fastendiät präsentiert werde, ist für Haidinger bestürzend. Der Ordensmann weiter: „Als Ordensgemeinschaften möchten wir in dieser Zeit der wachsenden sozialen Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Unsicherheit unsere Stimme erheben." Der Sozialstaat müsse weiterentwickelt und erneuert werden.
Ordensgemeinschaften: Anwalt für sozial gerechte Strukturen
Haidingers Resümee lautet: „Ja, wir werden alles daran setzen, in unserem sozialen Engagement nicht nachzulassen und noch besser zu werden. Wir müssen und wollen als Ordensgemeinschaften aber gerade auch Anwalt sein für sozial gerechte Strukturen und uns für solidarische Antworten auf die brennenden sozialen Fragen der Zeit einsetzen.“
Regina Polak: Demokratie-Entleerung und fragwürdiger Rekurs auf das Christentum.
Regina Polak, Professorin am Institut für praktische Theologie an der Universität Wien, weist darauf hin, dass die aktuelle politische Auseinandersetzungen auf dem Rücken der am meisten verletzbaren Gruppen geführt werde: BezieherInnen der Mindestsicherung, Flüchtlinge, Langzeitarbeitslose und Obdachlose werde als Sündenböcke missbraucht. Es fände derzeit eine Demokratie-Entleerung statt, die auf die Aktivierung von Hass, Neid, Angst und Gier basiere. Hand in Hand gehe damit auch eine Religionisierung von sozialen, politischen und ökonomischen Konflikten; das sei vor allem von rechtspopulistischer Seite „ein theologisch indiskutabler Rekurs auf das Christentum und auf Gott.“, so Polak.
Die Theologin weiter: „Die Fixierung auf Migration und Flucht ist ein Ausweich- und Ablenkungsmanöver, um über die wirklich relevanten sozialen, politischen und ökonomischen Themen nicht sprechen zu müssen: Klimawandel, Globale Exklusion durch wirtschaftliche Prozesse und Strukturen, die menschlichen ‚Überschuss‘ produzieren, Verteilung von materiellen und immateriellen Gütern.“ Letztendlich legitimiere Gott niemals die Macht der Mächtigen, sondern stünde an der Seite der Ohnmächtigen. Ihre Konsequenz daraus: „Ein Umdenken, eine „Zivilisierung der Gefühle“ müsse stattfinden. Im Vordergrund stünde die Frage: In welcher Gesellschaft wollen wir leben.
Veronika Pernsteiner: Sozialpolitik ist im Würgegriff rechtpopulistisch geschürter Ängste
„Die Mindestsicherungs-Debatte ist ein Beispiel dafür, wie sich die Politik von populistischen Kräften in ihrer Themensetzung vor sich her treiben lässt“, zeigt sich auch Veronika Pernsteiner, Vorsitzende der Katholischen Frauenbewegung Österreichs, überzeugt. Die Mindestsicherung habe 2014 nur 0,7 Prozent der gesamten Sozialausgaben in Österreich ausgemacht. „Warum erwägen wir überhaupt eine Schmälerung der Ausgaben für die Ärmsten und sprechen nicht oder kaum mehr von einem höheren, gerechten Beitrag der Aller-Reichsten zur Solidargemeinschaft?“
Die österreichische Sozialpolitik entferne sich immer mehr von der christlichen Wertebasis und lasse sich in den Würgegriff rechtpopulistisch geschürter Ängste nehmen, die ihre Sündenböcke, allen voran Flüchtlinge, öffentlichkeitswirksam vor sich hertreiben. Doch: „Soziale Politik, wie Christinnen und Christen sie verstehen, nimmt diese Nöte und Bedrängnisse in den Blick und benennt sie, zum Beispiel steigende Arbeitslosigkeit und die wachsende Zahl von Working poor“, so die KFÖ-Vorsitzende. „Soziale Politik, wie Christinnen und Christen sie verstehen, hinterfragt Steuersysteme und Arbeitsbegriffe, wagt sich auf neues Terrain, erkennt allen den gleichen Wert zu.“ Das müsse getan werden, Christinnen und Christen sich den Prinzipien von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit verpflichtet wissen. Pernsteiner: „Wir stehen heute hier mit dem Aufruf zu einer sozialen Politik auf der Grundlage von Gerechtigkeit, Solidarität und Gemeinwohl.“
Magdalena Holztrattner: Was für die Schwächsten gut ist, ist für alle gut.
Was braucht der Mensch, fragt Magdalena Holztrattner, Direktorin der Katholischen Sozialakademie Österreichs, in ihrem Statement. Diese Frage scheine heute an den Rand gedrängt zu sein. Heute gehe es nur mehr um Zahlen und Wahlerfolge. Doch die Qualität einer Gesellschaft bemisst sich daran, wie eine Gesellschaft mit ihren Schwächsten umgeht. So wie die Glaubwürdigkeit von Christen daran gemessen werde, wie sie mit den Armgemachten und Fremden umgehen. Die Kürzung der Mindestsicherung missachte Menschenrechte und verletze Menschenwürde.
„Rechtspopulisten erklären sich heute zu den Verteidigerinnen und Verteidigern des ‚abendländischen Christentums‘“, zeigt sich die ksoe-Direktorin entrüstet, „zugleich fördern sie, dass Menschen durch andere Menschen mit Worten und Verachtung, mit Gesetzen tätlicher Gewalt abgewertet und unwürdig behandelt werden.“ Doch was die Schwächsten, der sog. kleine Mann, wirklich brauche, nämlich Anerkennung und soziale Sicherheit, darum kümmern sie sich nicht. Holztrattner: „Die Frage der Gerechtigkeit ist heute eine Frage der Verteilungsgerechtigkeit.“ Ihr Resümee: „Wir sagen Nein zu einer Politik, in der hauptsächlich Konkurrenz, Leistung und Abwertung bestimmter Bevölkerungsgruppen die Leitmotive sind.“
[rs]