Romaria: Seht, ich mache alles neu
Es ist ein kleiner, unscheinbarer brauner Holzsessel, den Sr. Mayrhofer mit zum Altar bringt. Um ihn dann - scheinbar - achtlos zur Seite zu stellen. „Ich erinnere mich an meine letzte Wallfahrt, eine Schulwallfahrt, und einige tapfere Schülerinnen und Schüler sind drei Tage nach Mariazell gegangen“, beginnt Mayrhofer ihre Predigt mit einem kleinen Augenzwinkern. „Dann sind wir um 15 Uhr in der Kirche gewesen, die, die schon lange gegangen sind, die, die gar nicht gegangen und nur mit dem Autobus bis zur Kirche gefahren sind. Und da saß ich in der Bank, und hinter mir saßen drei Mädels. Und wie es dann zur Kommunion gekommen ist, da sagt die eine zur anderen flüsternd hinter mir: ‚Ich gehe da nicht nach vorn. Ich kann keinen Schritt mehr tun.‘“
Die Wallfahrt-Teilnehmerinnen und –teilnehmer hätten heute schon viele Schritte gegangen, und die freiwillig in Solidarität mit vielen, die viele Schritte unfreiwillig gegangen wären. Sie waren getrieben worden, gehetzt, geschliffen.
Und plötzlich holt Sr. Mayrhofer den kleinen Holzsessel zurück in den Mittelpunkt – wortwörtlich. Sie stellt ihn in die Mitte vor den Menschen hin und sagt: „Ich hoffe, Sie sitzen jetzt alle gut. Ich möchte nur einen Gedanken mit Ihnen teilen, einen Gedanken über das Sitzen. Und beginne daher … mit einem Sessel. Und mit einer Geschichte zu diesem Sessel, einer erlebten Geschichte, die mir erzählt worden ist.“
Eine Mitschwester aus Brasilien war in einem Dorf zu Besuch. Die Menschen begrüßten sie freudig und feierten mit ihr. Als es Zeit war, Abschied zu nehmen, bat sie ein alter Mann zu seinem Sessel vor der Hütte. „Er bat sie, Platz zu nehmen, und sagte: Ich habe nichts, was ich dir geben kann“, erzählt Sr. Mayrhofer. „Aber wenn du hier sitzt, dann kannst du den wunderbaren Sonnenuntergang beobachten. Und so saß sie da auf einem Sessel, der in dem Moment zu einem Thron wurde, zum Ausdruck von Königswürde von Menschen, die uns keine Armut nehmen kann.
Jetzt sitzen wir hier und schauen in die Sonne, in das Licht der Verheißung und hören das Wort des Propheten, sein Zeugnis, dass Er gesandt ist, den Armen frohe Botschaft zu bringen und die zu heilen, die verloren im Herzen sind. Wir möchten die Gnade des Herrn auszurufen, einen Tag der Vergeltung für unseren Gott, einen Tag der Vergeltung für unseren Gott, um alle Trauernden zu trösten, den Trauernden Schmuck zu geben an Stelle von Asche, Freudenöl anstatt Trauer, ein Gewand des Ruhmes anstatt eines verzagten Geistes. Wir haben es gerade vorher gehört“, erinnerte Sr. Mayrhofer an die Prophetenwort Jesaja 61,1.
„Wir möchten gerne unseren Gott an diese Verheißung erinnern“, sagt Mayrhofer in ihrer Predigt, und weiter: „ Gerade wenn wir an die denken, die gefesselt in den Gefängnissen von Damaskus oder im Hinterland der Boko Haram sitzen, an die, die da festsitzen in einem griechischen Lager oder an der Küste von Libyen. Auch an die , die sicher auch jetzt gerade, ja, jetzt gerade, eingepfercht sitzen in einem Schlauchboot auf gefährlicher Fahrt. An alle, die in einem Lager sitzen in Lampedusa, in Ungarn oder auf einer Bank in der Schubhaft, nackt und gefesselt in der Zelle, hat es jüngst geheißen, zufällig entdeckt hier in Wien. Wir möchten gerne diese Verheißung in Anspruch nehmen.
Einer hat das schon wörtlich getan. Der Evangelist Lukas berichtet, dass Jesus am Sabbat in seiner Heimat Nazareth in die Synagoge ging, dort die Stelle aus dem Buch Jesaja aufschlug, den Text vorlas, den Text, den wir gerade gehört haben, bis auf einen halben Vers aus dem Prophetenwort. Jesus wiederholt nicht die Drohung über einen Tag der Vergeltung. Den Vers hat Jesus, so wie Lukas das schreibt, ausgelassen. Denn er hat Vergeltung auf sich selbst genommen. Er gab, so heißt es, dem Synagogendiener die Buchrolle und setzte sich. Und dann lehrte er den Menschen, dass er die Erfüllung der Verheißung ist. Und die, die zuerst staunten, begannen sich zu ärgern, gerieten in Wut, sprangen auf und trieben Jesus zur Stadt hinaus. Auch Jesus war ein Getriebener, einer auf der Flucht von Anfang an. Die Verfolger brachten ihn schließlich hin zum Richterstuhl des Pilatus, und dann hinaus vor die Mauern von Jerusalem, wo sie dem gefolterten einen Platz zuwiesen an einem Ort, an dem er nicht mehr sitzen konnte. Grausam zugerichtet, verheißt er sterbend dem Mann zu seiner Rechten, dass er ihn mitnimmt, heute noch. Jesus stirbt, und eine Sonnenfinsternis bricht über das Land herein. Aber sein Tod ist ein Durchgang, ein ganz neuer Sonnenaufgang. Hinabgestiegen in das Reich des Todes, am dritten Tage auferstanden von den Toten, aufgefahren in den Himmel, so sitzt er zur Rechten des Vaters und wird von dort kommen zu richten die Lebenden und die Toten.
Und so sitzt er wieder. Zur Rechten des Vaters. Und um zu richten. Und das alles entscheidende Wort seines Richtertums heißt: Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan. Und wer in seiner Armut nicht blind geworden ist für den Nächsten, wer einem Besucher seinen wackeligen Stuhl anbietet, um ihn die Schönheit der Schöpfung sehen zu lassen, der wird bestehen vor ihm, der auf dem Thron sitzt und sagt: Seht, ich mache alles neu.“
Die Predigt von Frauenorden-Präsidentin Sr. Beatrix Mayrhofer auf Video
Impressionen von der Romaria 2017
[rs]