Wenn Kultur brennt, wo sie geschützt, konserviert wird
Auch 2017 ist die Flüchtlingsfrage eines der am kontrovers diskutiertesten Themen. Fast immer wird jedoch vergessen, dass es sich nicht um eine graue Masse, sondern um Individuen mit Geschichte und einer Vergangenheit handelt, die völlig ausgelöscht wurde.
Kultur ist Sorge für die Nachkommen
Menschliche Identität wird vor allem gestiftet durch Kultur und Gesellschaft und wenn diese nicht bewahrt wird, verlieren wir einen Teil unseres Selbst. Schon der österreichische Dramatiker Hermann Bahr sagte: „Kultur ist ihrem Wesen nach etwas, was erspart werden muss, was überhaupt nur aus dem Verzicht auf den Augenblick, was nur mit dem Blick auf die Erben entstehen kann; Kultur ist immer Sorge für die Nachkommen.“ Was wir also heute nicht schützen, ist morgen vergessen. Im Angesicht menschlichen Leids scheint die Sorge um das kulturelle Erbe wenig dringlich, doch dieses Erbe ist untrennbar mit Menschen und ihrer Geschichte verbunden. Und woraus lernen wir, woran erinnern wir uns, wenn nicht an unsere Geschichte? Wir müssen unseren Blick schärfen und erkennen, was für künftige Generationen wertvoll sein wird. In diesem Sinne ist es wohl ein sehr gewagter Vergleich – und doch braucht es oft Blickverschiebungen, um sich der Bedeutung von Initiativen bewusst zu werden: Die dramatische Lage in Syrien zum Anlass nehmend, richten wir den Blick auf die Kulturgüterpflege in der Ordenslandschaft in Österreich.
Kulturgüter als Gedächtnis der Orden
Helga Penz, Referentin für Kulturgüter der Orden in Österreich, beschreibt: „Der enorme demographische Wandel in der Ordenslandschaft ist auch für die Kulturgüterpflege eine große Herausforderung und hat schon zu beträchtlichen Verlusten im kulturellen Erbe geführt. Zeitzeugnisse des Wirkens der Ordensgemeinschaften sind unwiederbringlich aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht worden. Ein alter Reliquienschrank, ein unscheinbares Stifterbild, ein abgegriffenes Tischgebetbuch, eine alte Konventglocke – diese Kulturgüter gelten nicht als wertvoll und in einem ökonomischen Sinn sind sie es oft auch nicht, und doch spiegelt sich in ihnen der Reichtum der Ordenstraditionen. Sie sind begreifbares Gedächtnis der Orden, einmalig und von unschätzbarem Wert.“ Kulturgut der Kirche ist also sichtbares Gedächtnis der Evangelisierung und Zeugnis gelebter Inspiration. Im Kulturgut ragt eine größere Wirklichkeit in die Realität des Heutigen. Kulturgüter sind Ausdruck eines Wollens und stiften Identität, sie sind Schnittstellen zwischen Ordensleben und Welterfahrung. Sie ziehen auch das Interesse jener auf sich, die von Kirche nichts mehr wissen. Am Kulturgut wird kirchliches Leben sichtbar, hörbar und spürbar. In diesem Geiste steht auch die Inventarisierungsoffensive des Referats für die Kulturgüter der Orden. Das Projekt startete im Jänner 2017 unter der Leitung von Helga Penz und mit der Unterstützung von Karin Mayer, Kunsthistorikerin und Textilrestauratorin. Mayer ist Mitarbeiterin im Projekt und bringt viel Erfahrung mit. Sie hat mehrere Jahre für das Kunstreferat der Diözese Linz gearbeitet und war dort in der Kirchen- und Pfarrinventarisierung tätig. Als Textilrestauratorin kann sie außerdem restauratorische Befunde abgeben. Penz betont: „Es geht nicht darum, alles aufzuheben was sich angesammelt hat, sondern darum, eine kluge Auswahl zu treffen von dem, was von einem Orden bleibt. Eigene Gedächtnispflege ist wichtig! Auch materielle Dinge sind Zeichen der Verkündigung – damit man über Ordensleben sprechen kann und es anschaulich machen kann, im wahrsten Sinne des Wortes. So kann auch ein nicht besonders hochwertiger Öldruck eines Ordensheiligen eindrucksvoll und zum Verständnis der Gemeinschaft von großer Bedeutung sein.“
Karin Mayer, Kunsthistorikerin und Textilrestauratorin, ist Mitarbeiterin im Projekt der Inventarisierungsoffensive des Referats für die Kulturgüter der Orden.
Foto: Karin Mayer
Angebot von Knowhow und Ressourcen
Die Inventarisierungsoffensive steht Ordensgemeinschaften mit Knowhow und Ressourcen in der Einschätzung des vorhandenen kulturellen Erbes und in der Entscheidungsfindung, was bewahrenswert ist, und bei der Inventarisierung zur Seite. Kunsthistorische Bewertungen und restauratorische Befunde werden angeboten und auch ein Sammelarchiv für Archive von Ordensgemeinschaften, die ihre Häuser auflösen, steht zur Verfügung. „Wir geben Werteeinschätzung ohne Kaufinteresse zu haben“, so Penz.
„Wir wären nicht hier, wenn wir eine andere Wahl gehabt hätten, wir lieben unser Land.“ Wie oft hörten schon Ersthelfer vor allem zu Zeiten der ersten Ankunftswellen von Flüchtlingen an Bahnhöfen und anderen Auffangorten diese verzweifelten Beteuerungen. „Wir sind stolz darauf, Syrer zu sein, aber bald wird es kein Syrien mehr geben – was erzählen wir dann unseren Kindern? Was sollen wir ihnen sagen, wenn sie fragen, wer sie sind und wo sie herkommen?“ Das sind Fragen, die sich viele Eltern stellen. Für Syrer sind die Zerstörungen ein Raub an der Vergangenheit ihrer Heimat – und damit an der Zukunft. „Nichts, aber auch rein gar nichts, kann mit dem verglichen werden, was in Syrien geschieht“ kommentierte schon 2014 der stellvertretende Generaldirektor für Kultur in der UNESCO, Francesco Bandarin die Lage. Im Jahr 2000, nach dem Tod seines Vaters öffnete Präsident Bashar al-Assad Syrien langsam für den Tourismus. Man begann die Jahrtausende alte Geschichte zu würdigen, sechs Orte in Syrien stehen auf der Liste der Welterbestätten und alle nun auch auf der Liste der gefährdeten Objekte. So beispielsweise das Minarett der Omayyadenmoschee in Aleppo. Es überlebte mehr als 900 Jahre und ermöglichte die Gebetsrufe des Muezzins, jetzt ist es zerstört. In Österreich sind wir in der glücklichen Lage, unsere Kulturgüter schützen zu können und dennoch ist es ein Anliegen der Verantwortlichen in den Gemeinschaften, dass mehr Verständnis für ihre Arbeit von den Ordensleitungen kommt. Der Erhalt des kulturellen Erbes sollte keine Nebensächlichkeit sein, denn „Wir wollen mit den dinglichen Zeugen, die uns in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen anvertraut sind, Respekt vor den Generationen vor uns zeigen. Wir wollen Sorge tragen, dass nicht vergessen wird, was sie gewirkt haben“, so Penz.
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