Suchen Sie den Himmel - Kirchenführungen von Ruth Pucher
„Wo können Sie in diesem Raum Himmel entdecken?!“ Auf so eine Frage muss man als TeilnehmerIn gefasst sein – nicht nur in der Wiener Jesuitenkirche, wo Architektur und Malereien permanent Ausblicke in den Himmel ermöglichen. Pucher fragt auch innere Bilder und Vorstellungen – zum Beispiel vom Himmel – ab und lädt zum Mitmachen und Suchen ein. „Ich bin dann oft ganz erstaunt, wie vielfältig Himmel sein kann!“ Die Kirchenpädagogin knüpft auch an ganz konkreten Erfahrungen an, wenn sie einen Kirchenraum erschließt. Ihr geht es nicht einfach darum, Informationen weiter zu erzählen. Sie will „Orientierung geben, Erfahrungen in Worte bringen“, den Blick öffnen und weiten. Kirchenraum erleben wird zu einem spirituellen Geschehen.
Alles beginnt mit Neugier
Die Neugier, in Kirchen etwas zu suchen und zu entdecken, hat Puchers Mutter in ihr geweckt. „Wenn wir in einer Kirche waren, hat sie meistens den Kirchenführer in der Hand gehabt und zum Beispiel zu uns Kindern gesagt: ‚Da muss irgendwo ein altes Taufbecken sein. Geht und schaut mal, wo das ist!“ Ihre Religionslehrerin hat das noch vertieft. Sie hat mit ihren SchülerInnen viele Exkursionen gemacht. „Mit 15 habe ich in Hildesheim St. Michael meine erste Kirchenführung gehalten.“ Das Studium der Kunstgeschichte in München und Würzburg unterbricht Pucher für ein Semester in Frankreich. Im Zisterzienserkloster Citeaux hatten Künstler zusammen mit Mönchen und Historikern einen Parcours durch das Klostergelände entworfen. „Dieser Parcours war so gestaltet, dass alle Sinne angesprochen wurden.“ Sie ist davon so begeistert, dass sie selber Klosterführungen hält. Und noch etwas taucht in Citeaux auf: die Frage, „könnte das Ordensleben nicht auch etwas für mich sein?“ Die Sehnsucht danach verstärkt sich und Pucher findet in der Gemeinschaft der Missionarinnen Christi einen Orden, der zu ihr passt und ihr den nötigen Freiraum gibt, ihre Fähigkeiten zu entfalten und in der Gemeinschaft einzubringen. Nach dem Noviziat sendet sie der Orden nach Wien. Ihr Auftrag: die Verbindung von Kunst und Spiritualität. Pucher macht die Ausbildung zur Fremdenführerin und besucht die Theologischen Kurse. 2006 gründet sie ein eigenes Unternehmen: „Wien ORDENtlich“.
Kunst übersetzen und Spiritualität vermitteln
Als Vermittlerin von Kunst und Spiritualität versteht sich die Missionarin Christi. Sie bietet mit Wien ORDENtlich Führungen in Ordens- und Pfarrkirchen, Museen und Galerien an, ermutigt dazu, „Kirchenräume mit allen Sinnen zu erleben, Schönheiten zu entdecken und zu verkosten, Symbole und Bilder zu verstehen“. Zu ihren Kirchenführungen kommen SeniorInnen und Personen, die den Grundkurs Kirchenführung absolviert haben, FremdenführerInnen, immer wieder auch Ordensleute, Kunst- und Kulturinteressierte. Wichtig ist der Kunstvermittlerin auch der Blick über den Tellerrand: Einmal pro Semester besucht sie mit Interessierten eine Moschee, einen Hindutempel oder Kirchenräume anderer christlicher Konfessionen. Es bleibt nicht bei Kirchenführungen. Sie lädt zu „spirituellen Spaziergängen mit einer Ordensfrau“ ein. Pucher will die Sprache der Kunst so übersetzen, dass sie durch Aufmerksamkeit und genaues Hinschauen erlebt und verstanden wird und beim Meditieren darüber Fragen für das eigene Leben aufwirft. Die Begeisterung und Freude, mit der sie eine Kirche erkundet oder ein Kunstwerk entdecken hilft, ist bei ihr immer spürbar.
Machen wir das wieder mal!
„Machen wir das wieder mal?“ Viele SchülerInnen der 3. Klasse E des Gymnasiums Sacre Coeur in Wien stellten diese Frage ihrer Religionslehrerin Prof. Martina Althuber nach einer Kirchenerkundung mit Ruth Pucher im Schuljahr 2015/16. Prof. Althuber, gebürtige Salzburgerin und kunst- und kulturinteressiert, war in Maria Kirchental, einem Besinnungshaus der Missionarinnen Christi, auf Pucher aufmerksam geworden. Sie organisierte im Rahmen des katholischen Religionsunterrichts eine Exkursion mit Pucher zur Michaelerkirche in der Wiener Innenstadt. „Es war eine ziemlich große Gruppe 13jähriger Buben und Mädchen, insofern doch eine kleine Herausforderung. Es hätte doch sehr unruhig werden können.“ Aber die Sorge der Lehrerin war unbegründet. Die Kirchenerkundung wurde zu einem Dialog zwischen der Kirchenpädagogin und den SchülerInnen. Sie mussten nicht ruhig sitzen, sondern durften vieles entdecken. Prof. Althuber erinnert sich: „Besonders schön ist mir der Impuls in Erinnerung, wo jede/r Schüler/innen ein Eigenschaftswort zog, wie z.B. behütet, eng, weit, beruhigend und diese Qualität dann im Raum für sich suchte. So waren die Jugendlichen in der ganzen Kirche zugange, um ‚ihren‘ Ort zu finden.“
Etwas zum Schwingen bringen
Wie „erarbeitet“ sich Pucher selber eine Kirche, die ihr neu ist? „Ich setze mich zunächst einfach in die stille Kirche, verbringe viel Zeit darin, lass den Raum, die Bilder auf mich wirken, achte auf die Lichtverhältnisse und wie sie sich verändern. Gibt es Kraftorte in der Kirche? Und wenn gerade Leute in der Kirche sind, versuche ich, mit ihnen ins Gespräch zu kommen“. Erst danach greift sie zu einem Kirchenführer oder schlägt in einem Lexikon der Kunstgeschichte nach, um sich näher zu informieren und widmet sich der spannenden Aufgabe: „Wie kann ich in dieser Kirche über die Zahlen und Fakten hinaus durch Fragen und Übungen in Interessierten etwas zum Schwingen bringen und intensivieren?“ Sie hat nicht einfach fertige Antworten parat. „Oft erlebe ich, dass wir gemeinsam in der Gruppe Neues und Spannendes entdecken und Antworten finden. Und immer wieder werde auch ich durch Fragen der TeilnehmerInnen bereichert und zum Nachdenken inspiriert.“ Durch ihre Anstellung im Bereich Ordensentwicklung fehlt Ruth Pucher nun die Zeit, regelmäßig Kirchenerkundungen anzubieten. In der Ausbildung von KirchenpädogInnen sind die Erfahrungen der Ordensfrau sehr gefragt. So ist sie beim Grundkurs Kirchenpädagogik zum Thema „Kirchenräume erleben und vermitteln“ vom Mai bis September 2017 im Bildungshaus St. Hippolyt Impulsgeberin und Referentin.
[hw]