Der Star Wars Orden
Für Star Wars-Fans, so wie ich einer bin, war 2016 ein erfreuliches und ein betrübliches Jahr zugleich. Erfreulich, weil zu Weihnachten der mittlerweile achte Film, der im Star Wars-Kosmos spielt, in die heimischen Kinos kam. Und betrüblich, weil die amerikanische Schauspielerin Carrie Fisher, die Darstellerin der Star Wars-Protagonistin schlechthin, Prinzessin Leia, am 27. Dezember 2016 im Alter von nur 60 Jahren an einem Herzinfarkt verstarb. Unvorstellbar; wer wird jetzt die Allianz der Rebellen gegen das böse Imperium anführen?
Ich kann mich noch ganz genau erinnern: 1977 kam der erste (chronologisch eigentlich der vierte) Teil der Star Wars-Saga nach Österreich. Ich saß damals als 12jähriger vor der großen Kinoleinwand und war fasziniert von den Abenteuern, die der heldenhafte Luke Skywalker, der verwegenen Han Solo und die so schöne wie tapfere Prinzessin Leia bestehen mussten. Ich wurde, wortwörtlich, Augenzeuge des Beginns eines jahrzehntelangen Hypes.
Ohne Zweifel hat der amerikanische Regisseur George Lucas mit Star-Wars eine der erfolgreichsten Kinoreihen der Filmgeschichte ins Leben gerufen - wenn nicht sogar die erfolgreichste. Die Einspielergebnisse können sich sehen lassen: Sie betragen bislang sage und schreibe über sechs Milliarden US-Dollar; der Verkauf von Merchandising-Produkte spülte geschätzt weitere 30 Milliarden US-Dollar in die Kassen von Lucasfilm bzw. der Walt Disney Company, die die Filmrechte seit 2012 besitzt. Und nur nebenbei: zu den wichtigsten Auszeichnungen der Filme gehören bislang zehn Oscars.
1977 kam der erste Teil der Star Wars-Saga in die heimischen Kinos und löste einen weltweiten Hype aus. Im Mittelpunkt stand ein geheimnisvoller Ritterorden: die Jedi-Ritter. (c) Lucasfilm
Wie Millionen andere hatte mich damals das Star Wars-Fieber gepackt – und bis heute nicht losgelassen. (Und ich fürchte, ich habe auch meinen 14jährigen Sohn damit infiziert.) Doch mein eigentlicher Held war Obi-Wan Kenobi, ein geheimnisvoller Ritter mit strahlendem Lichtschwert und düsterer Vergangenheit, streng, doch mutig, gütig und weise zugleich. Er war der Letzte aus dem Orden der Jedis.
Die Bestimmung dieses Ordens besteht darin, für Frieden und Ordnung im Star-Wars-Kosmos zu sorgen. Seine Mitglieder (männliche und weibliche Spezies aus allen Ecken und Enden des Universums) leben nach einem Kodex, der ihnen hilft, sich einer undefinierten und mysteriösen Kraft zu bedienen, die die Macht (im Original Force) genannt wird und die ihnen übermenschliche Fähigkeiten verleiht. Die Jedi-Ritter dürfen diese Kraft nur für gute Zwecke einsetzen, zur Verteidigung und Schutz anderer. Der Rat der Jedi wird von zwölf Jedi-Meistern gebildet, die teilweise auf Lebenszeit berufen sind und teilweise in regelmäßigen Abständen gewählt werden; einer der bekanntesten Jedi-Meister ist Yoda. Die einzelnen Jedi-Ritter schwören dem Rat Gehorsam; dazu führen sie ein Leben ohne privaten Besitz und in Ehelosigkeit. Jedi-Ritter sind edel, hilfreich und gut; Ausnahmen wie Anakin Skywalker (der zum späteren Sith-Bösewicht Darth Vader mutiert) bestätigen die Regeln.
Der Jediismus: vom Phantasieprodukt zur „Religion“
Mit den Jedi-Rittern hatte Regisseur George Lucas sicherlich einen der eindrucksvollsten und populärsten Figurenkreise der Filmgeschichte erschaffen. Doch wie sehr diese Faszination seiner Phantasiefiguren in die Köpfe seiner Fans gedrungen war, überraschte selbst ihn: Bei einer Volkszählung in Großbritannien im Jahr 2001 gaben immerhin 400.000 Menschen als Konfession den „Jediismus“ an. Seither taucht diese „Religion“ regelmäßig bei Volkszählungen auf der ganzen Welt auf.
Ganz ernst darf man es natürlich nicht nehmen. Der Ursprung lag sicherlich darin, dass viele atheistisch denkende Menschen ihren Protest gegen die Pflicht, das religiöse Bekenntnis bei der Volkszählung angeben zu müssen, ausdrückten, in dem sie ein „absurdes“ religiöses Bekenntnis ankreuzten. Auf einen ähnlichen Hintergrund verweist ebenfalls die Satirereligion des Pastafarianismus, auch unter dem Namen „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ bekannt, der zufolge die Welt von eben jenem unsichtbaren Ungetüm mit Nudeltentakeln erschaffen wurde. Sowohl die Anhänger des Pastafarianismus als auch des Jediismus wollten ursprünglich darauf aufmerksam machen, dass Religionsgemeinschaften vom Staat gewisse Vorteile erhalten. Dazu müsse aber wiederum der Staat zwangsläufig entscheiden, was eine Religion ist und was nicht; und dieses obliege ihm nicht. Ob die Lehren von Jesus Christus, Allah oder Jahwe „religiöser“ oder „wahrer“ seien als die „Macht“ der Jedi-Ritter oder des Spaghettimonsters, dürfe nicht durch staatliche Behörden entschieden werden, sondern müsse jeden Menschen selbst überlassen bleiben und dürfe nur im privaten Bereich stattfinden.
Obi-wan Kenobi war der Jedi-Ritter schlechthin. In den Episoden IV bis VI wurde er vom britischen Schauspieler Alec Guinness verkörpert; in den Episoden I bis III vom britischen Schauspieler Ewan McGregor. (c) Lucasfilm
So weit so schlecht. Wo die Grenze zwischen Religion und Nicht-Religion verläuft, darüber herrscht seit Jahren teilweise erbitterter Streit. Tatsache aber ist, was beim Jediismus größtenteils als Protest begann, verselbstständigte sich schnell, denn viele Anhänger des Jediismus nahmen die Philosophie (oder die Religion) der Jedi-Ritter sehr wortwörtlich und damit sehr ernst. Auch in Deutschland und Österreich gibt es Jedi-Gemeinden, die gewissenhaft nach dem Kodex der Jedis lebten. Deren Kernthese: Es gibt eine unsichtbare Kraft, die alle Menschen miteinander verbindet. So definiert Meister Yoda die „Macht“ in Episode V: „Das Leben erschafft sie, bringt es zur Entfaltung. Ihre Energie umgibt uns, verbindet uns mit allem. Erleuchtete Wesen sind wir, nicht diese rohe Materie. Du musst sie fühlen, die Macht, die dich umgibt: hier, zwischen dir, mir, dem Baum, dem Felsen dort, allgegenwärtig.“ Dies und die Gebote der Jedis, soweit aus den Filmen bekannt, ergäben eine Richtlinie, nach der es sich zu leben lohnt. (Eine offizielle Anerkennung des Jediismus, der nach eigenen Angaben spirituelle Elemente des Christentums, des Buddhismus, des Daoismus und des Shintoismus beinhaltet, wurde allerdings bisher weder in Österreich noch in einem anderen Land ausgesprochen.).
Die Intension von Star Wars-Mastermind George Lucas beim Schöpfungsakt seiner Weltraumritter lag sicherlich weder darin, eine Protest- noch eine religiöse Bewegung ins Leben zu rufen. Dennoch hatte der „Orden“ der Jedis einen ernsthaften Hintergrund. „Ich würde zwar zögern, die Macht als Gott zu bezeichnen, doch ich wollte damit auf jeden Fall die Frage nach Gott aufwerfen“, sagte George Lucas 1999 in einem Interview mit dem renommierten „Time Magazin“. „Ich habe die Macht in den Film hineingebracht, um eine gewisse Form von Spiritualität in den jungen Leuten zu erwecken. Es ist mehr ein Glaube an Gott als ein Glaube an ein bestimmtes religiöses System.“
George Lucas: Unterhaltung zum Nachdenken
Lucas wollte sein Publikum, vorzüglich die jungen Menschen, in erster Linie Unterhaltung bieten, selbstverständlich. Aber er wollte sie auch zum Nachdenken anregen. Im selben Interview erklärte er, er habe „alle Themen, die in der Religion dargestellt werden, genommen“ und daraus „ein moderneres und leichter zugängliches Gedankengebäude destilliert, an dem sich die Leute festhalten können.“ So könnten die Menschen verstehen, dass „dort draußen ein größeres Geheimnis ist“. Lucas ging es nicht um die Glaubensvermittlung einer (bestimmten) Religion, sondern um die Vermittlung eines „Dahinters“, das die sichtbare Welt übersteigt, das wir erahnen, aber definitiv nicht verstehen können. George Lucas im „Times Magazin“: „Ich glaube, dass es einen Gott gibt, keine Frage. Was dieser Gott ist oder was wir über diesen Gott wissen, da bin ich mir nicht sicher. Ich weiß nur, dass das Menschengeschlecht schon immer glaubte, alles zu wissen. Selbst die Höhlenmenschen dachten, sie hätten auf alles eine Antwort.“ Und einige Zeilen weiter: „Ich würde sagen: Auf einer Skala dessen, was wir verstehen, haben die Höhlenmenschen vielleicht eine 1 erreicht, und wir haben es inzwischen vielleicht bis zur 5 geschafft, aber dabei ist uns nicht klar, dass diese Skala bis 1 Million reicht.“
Eine Gruppe von Personen besitzt eine besondere Verbindung zur „Macht“: die Jedi-Ritter. Der Orden zeichnet sich durch einen strengen Kodex aus und erwartet von seinen Mitgliedern ein Leben nach strengen moralischen Grundsätzen, darunter Keuschheit, Armut, Gehorsam, Gerechtigkeit und Bescheidenheit. Wer die Bergpredigt im neuen Testament liest, könnte stellenweise meinen, den Jedi-Kodex vor sich liegen zu haben. Die Jedis – ein quasi „katholischer“ Orden im Weltraum?
Jedis: Katholischer Orden und fernöstliche Spiritualität
Tatsächlich hat sich Georg Lucas, der in einem methodistischen Umfeld aufwuchs, von katholischen Ritterorden inspirieren lassen. Der amerikanische Schriftsteller J.W. Rinzler zitiert in seinem 2007 erschienen Buch „The Making of Star Wars“ aus einer ersten Version des Drehbuches, in der ein 16jähriger Junge eine Art Akademie betritt, um ein „Jedi-Templer“ zu werden. George Lucas löscht das Wort „Templer“ bald in seinem Skript und ersetzt es durch „Ritter“ – doch der Grundgedanke eines „Templer-Ritterordens“ bleibt. Der Regisseur ergänzt seine Idee durch Einflüsse aus dem asiatischen Raum; tatsächlich stammt das Wort „Jedi“ vom japanischen Wort „Jidaigeki" ab, das man frei mit "Historienfilm" übersetzen kann und dessen Wurzeln im Nō-Theater und Kabuki liegen. Auch die Art, wie Jedi-Ritter sterben und später als Geistwesen zurückkehren, weist auf den Bodhisattva, dem „Erleuchtungswesen“ des Mahayana-Buddhismus hin.
Ebenso ist das Konzept der „Macht“ vom fernöstlichen Konzept des Qi beeinflusst, einer universalen spirituellen Kraft, die das ganze Universum durchdringt und alles begleitet, was existiert und geschieht, dabei aber weder physischer noch geistiger Natur ist. Gleichzeitig klingt der Jedi-Gruß „Möge die Macht mit dir sein“ (im Original „May the force be with you) sehr vertraut nach dem christlichen Gruß „Möge Gottes Segen mit dir sein“ („May God be with you“).
Eines muss man klar sagen: Den Orden und die Welt, die George Lucas in seiner Phantasie erschaffen hat, kann man nicht als christlich und schon gar nicht als katholisch bezeichnen. Aber: Das Streben der Jedis liegt in der Erlösung - eben dadurch, dass sie dem Willen der Macht folgen. Und sie warten auf einen Erlöser; einen, der das Gleichgewicht zwischen Gut und Böse herstellen wird; einen, der ewigen Frieden im Universum herstellen soll. Dieser Erlöser scheint mit Anakin Skywalker gekommen zu sein – doch diese Hoffnung zerplatzte, als er sich der „bösen“ Version der Jedis, den Sith, zuwendet und zu Darth Vader wird – der letztendlich mit der dunklen Seite der Macht auch nichts anderes als seine Erlösung sucht. Aber noch ist nicht aller Tage Abend; noch bleibt den Jedis zumindest zwei Filme Zeit, ihre Erlösung und den Frieden für das gesamte Universum zu finden.
Ich habe mich oft gefragt, was den Erfolg von Star Wars ausmacht. Ich denke, abgesehen von der Faszination, die ferne Welten und Abenteuer in uns Menschen auslöst, sind es gerade die Figuren der Jedi-Ritter. Sie leben ein Leben, das einen Sinn hat, das auf einem höheren Kodex und Spiritualität basiert, das ein ehrbares, uneigennütziges Ziel hat. Nicht missverstehen, ich weiß, wir sprechen hier von der Traumfabrik Hollywood. Aber offensichtlich besteht in vielen Menschen noch die Sehnsucht nach so einem Leben – und das sollte uns allen noch ein wenig Hoffnung geben.
[Robert Sonnleitner]