Wir brauchen die Stille
Fast wären diese Seiten leergeblieben. Denn einen Tag vor unserem Treffen rief mich Sr. Rebekka an und erzählte, das „Büsle“ sei jetzt endgültig kaputt, sie und Sr. Damienne wüssten noch nicht, wie und vor allem wann sie nach Hause kämen. Das „Büsle“ entpuppte sich als uralter VW-Bus, mit dem die beiden Ordensfrauen in ganz Österreich zu Klostermärkten unterwegs waren, um ihre Ware zu verkaufen. Die Reparatur wäre im Moment nicht leistbar. Ein Moment der Stille – und dann lachte Sr. Rebekka aus ganzen Herzen und meinte: „Wir Eremiten vertrauen auf Gott.“
Eremiten – sind das nicht eigentlich EinsiedlerInnen, die alleine in der Einöde leben, blind für weltliche Dinge, tief im stillen Gebet versunken? „Auf dieses Klischee treffen wir oft“, erzählt Sr. Rebekka, „doch Eremiten verstanden sich immer als Teil der menschlichen Gemeinschaft. Das ist wichtig: Es sind Menschen in unserer großen Familie von Menschen. Mit einer besonderen Ausrichtung auf Gott.“ Doch zumindest das Zuhause der beiden Ordensfrauen wird durch das Wort „Einöde“ ganz gut beschrieben.
Als ich die Gemeinschaft besuchte, musste ich nach Langschlag reisen, hoch hinauf ins Waldviertel, Richtung Zwettl. Die letzten Meter bis zum Haus der beiden Eremitinnen waren mit dem Auto nicht zu bewältigen; ein kleiner Fußmarsch war angesagt. Versteckt in einer kleinen Senke hinter einem Wäldchen führte ein kaum erkennbarer Feldweg zum kleinen (Ordens-)Haus. In einem Kobel davor beäugten mich vier Esel mit äußerster Skepsis (die sie auch für den Rest meines Besuches mir gegenüber beibehielten). Dann kam mir Sr. Rebekka entgegen und begrüßte mich, lachend, voller Fröhlichkeit, voller sprühender Lebenslust – und mir wurde klar, Weltabgewandtheit sieht anders aus.
Zurückgezogenheit ist ein Schatz
„Ich sehe dieses Abgeschieden sein als Option, die uns mehr Möglichkeiten bietet, Gott nahe zu sein“, erklärt Sr. Rebekka. Die Eremitengemeinschaft der „Lavra Lej da Christgarten“ lebt nach den Regeln des hl. Chariton – doch von dem Klischee des einsamen, weltabgewandten und freudlosen Einsiedlertums ist nichts zu spüren. „Doch Zurückgezogenheit ist nicht Voraussetzung, sondern Begünstigung. Es ist ein Schatz, in der Einsamkeit leben zu dürfen. Aber natürlich gehen wir hinaus in die Welt, in die Stadt, auf Märkte, auf Tagungen. Nicht so oft, aber immer wieder.“
Die EremitInnen der „Lavra Lej da Christgarten“ leben nach den Regeln des heiligen Chariton (gestorben um 350 in Palästina). Er gilt als Begründer des geregelten mönchischen Lebens; der Legende nach hatte er sich um 330 in eine Laura (Einsiedelei) zurückgezogen, aus der später das Kloster Pharan Laura bei Jericho hervorging. Seine Schüler gründeten nach seinem Vorbild weitere Lauren in der judäischen Wüste, sein Nachwirken lebt vor allem in den Klöstern des Ostens weiter. Nach Deutschland und Österreich kam die Gemeinschaft erst im Jahr 2002.
Die Eremitengemeinschaft des hl. Chariton ist katholisch, doch die Liturgie feiert sie im byzantinischen Ritus. Wobei „die Bezeichnung Eremit sowohl für Frauen als auch für Männer gilt“, stellt Sr. Rebekka als „Higoumena“ (Leiterin) richtig. „Das ist die neutrale Form.“
Der Tag wird klar strukturiert durch die Gebetszeiten. Sieben Mal richten die Eremiten ihre Aufmerksamkeit ganz auf Gott hin. Morgens und abends tun sie dies gemeinschaftlich. Die restliche Zeit wird schweigend verbracht – und persönlich nach den eigenen Bedürfnissen gestaltet, ganz im Sinne der sogenannten Idiorrhythmie, die seit dem 14. Jahrhundert bestehende „eigene Art“ monastischen Lebens im ostkirchlichen Mönchtum.
Schweigen heißt aber nicht Däumchen drehen, im Gegenteil: Der größte Teil des Tages wird genutzt, um sich den Lebensunterhalt zu verdienen. Sr. Rebekka ist eine meisterliche Gold- und Silberschmiedin. Mit geschickter Hand modelliert sie die Gleichnisse und die Botschaften Jesu in das Edelmetall. Ihre Kunstwerke sind mehr als nur dekorativer Schmuck; es sind funkelnde Glaubensbekenntnisse. Viele Hochzeitspaare bestellen bei ihr eigens für sie konzipierte Eheringe, doch die meisten fertigen Stücke verkauft die gelernte Restauratorin gemeinsam mit ihrer Mitschwester Damienne auf Klostermärkten in ganz Österreich – wenn das „Büsle“ mitspielt. Der Oldtimer hatte schon in der Vergangenheit des Öfteren seinen eigenen Willen durchgesetzt. Was ihn übrigens mit den Eseln vor der Haustür eint, die nicht nur für offensichtliche Idylle sorgen, sondern tatsächlich auch bei Holzschlagarbeiten ihren Beitrag zum Gemeinschaftsleben leisten.
Sr. Damienne (hinten) und Sr. Rebekka bei Holzschlagarbeiten. Foto: Manu Nitsch
Bedingungslos auf Gott vertrauen
Der Sonntag ist Gemeinschaftstag – da wird gemeinsam gekocht, geredet, gelacht. Und wie gelacht wird. Selten noch habe ich fröhlichere Menschen als Sr. Rebekka und Sr. Damienne kennengelernt. „Unser Ziel ist, uns auf der Erde so vorzubereiten, dass wir schon hier als Töchter oder Söhne Gottes leben“, sagt Sr. Rebekka. „Und so soll es auch bleiben, trotz aller Schwierigkeiten, die dann auch bestanden werden müssen.“ Ja, Gott sei die Quelle ihrer Fröhlichkeit. „Doch die Freude an Gott ist nicht so sehr abhängig von dem, was wir hier erleben. Denn vieles ist für uns natürlich auch große Belastung. Wie zum Beispiel ein kaputter Bus. Aber wenn du ganz unten bist, musst du dich entscheiden: Gehst du da jetzt in diese Schimpfkaskaden rein und sagst, jeder Tag ist ein schlechter Tag. Oder entscheidest du dich bewusst, ich will auf Gott vertrauen. Dieses hohe Lied ist bei uns allgegenwärtig.“
Es sei die Stille, die hilfreich sei. „Der Informationsfluss ist heute größer als je zuvor. Doch was komplett verloren gegangen ist: Die Menschen kennen sich mit sich selber nicht mehr aus. Aber gerade deshalb brauchen wir die Stille“, zeigt sich Sr. Rebekka überzeugt. „Sie erleichtert den Zugang zu Gott.“
[rs]