Ordenstag-Referent Abt Martin Werlen im Furche-Interview: Kirche muss auch Traditionen loslassen können
"Wenn durch den Zeitgeist entstandene Traditionen der Tradition der Weitergabe unseres Glaubens im Wege stehen, dann müssen wir sie loslassen", gibt Abt Martin Werlen im Interview zu bedenken. Der 53jährige emerierte Abt des Klosters Einsiedeln ist seit zwei Jahren wieder "einfacher" Novizenmeister, Lehrer, geistlicher Begleiter ... und als kritischer Nachdenker einer der prominentesten Vordenker innerhalb und außerhalb der Schweizer katholischen Kirche.
Menschen nicht für Traditionen, sondern für Christus gewinnen
Tradition sei sicherlich in der Theologie ein wichtiger Begriff, betont Abt Werlen. Doch in der Kirche würden allzu oft Traditionen mit "Tradition" verwechselt. "Aber solche Traditionen müssen aufgegeben werden, wenn sie der Tradition, also der Treue zu Christus, im Wege stehen", so der Ordensmann. Die Reform in der katholischen Kirche muss weitergehen, und es sei wichtig, dass die ganze Kirche mit auf den Weg geht. "Wir müssen nicht alle die gleiche Meinung haben, aber wir dürfen nicht akzeptieren, dass die Kirche nach außen vertritt, es dürfe sich nichts mehr ändern. Das ist nicht christlich, das ist nicht katholisch", zeigt sich Werlen kritisch. Sein Credo: "Wir müssen versuchen, Menschen nicht für uns und unsere liebgewonnenen Traditionen zu gewinnen, sondern für Christus."
Traditionalisten auch bei Synode
Bei der Familiensynode sei es tragisch gewesen, "dass vor der Synode Kirchenleute, sogar Kardinäle und Bischöfe, dazu aufgerufen haben, man solle beten, dass sich nichts verändert. Das ist eigentlich ein Zeugnis gegen den Glauben."
Beeindruckt habe ihn hingegen der deutsche Sprachzirkel, so der Ordensmann. Er nannte konkret die Vergebungsbitte, in der das Leid angesprochen wird, das die Kirche an ledigen Müttern, unehelichen Kindern, Geschiedenen oder auch Homosexuellen angerichtet hat. Der Abschlussbericht des Sprachzirkels sei auch vom Präfekten der Glaubenskongregation, Kardinal Gerhard Ludwig Müller, unterschrieben worden, würdigte Werlen: "Das zeigt, dass die Kirche auf dem Weg ist." Leider hätten es diese Äußerungen nicht ins Schlussdokument geschafft. Aber, so Werlen, "ich habe die Hoffnung, dass Papst Franziskus gerade dies aufnehmen wird, weil es eigentlich das ist, was er angeregt hat: eine kreative Kirche sein, um Vergebung bitten, wo wir Menschen schwer verletzt haben".
Abt em. Martin Werlen ist Referent am Ordenstag der Ordensgemeinschaften Österreich am 24. November im Rahmen der Herbsttagung 2015 vom 23. bis 25. November 2015 im Kardinal-König-Haus in Wien-Lainz.
Das Programm der Herbsttagung 2015 als PDF zum Download
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[rs]